Okay, es war mal wieder Zeit, etwas Verrücktes zu tun. Eine Idee zu verfolgen, über die ich (zugegebenermaßen) nicht allzu lange nachgedacht hatte und die ich (vielleicht gerade deshalb) wahnsinnig aufregend fand: Mit dem Fahrrad die Wüste durchqueren. Einmal durch halb Israel zu fahren. Von Jerusalem, der Heiligen Stadt, 400 Kilometer in 5 Tagen nach Eilat, dem Konsumtempel am Roten Meer. Eine Reise durch Extreme, eine Reise durch Hitze, Staub und Einsamkeit. 5 Irrtümer über die Negev muss ich an dieser Stelle aufklären:
1) Die Wüste ist flach
Sollte sich irgendjemand die Wüste flach vorstellen: Er liegt falsch. In meiner Vorstellung sah ich mich ein paar Tage lang durch endlose Ebenen gleiten und in Ruhe über mein Leben sinnen. Doch nach dem ersten nicht endenwollenden Berg kurz hinter Jerusalem, saß ich noch keine 2 Stunden im Sattel und war schon vollkommen am Ende. Aber Aufgeben ging natürlich nicht, ich hatte ja noch 385 Kilometer vor mir. Wirklich einfacher wurde die Strecke aber nicht. Ständig ging es bergab und bergauf. Nach 30 Minuten Anstieg und 3 Beinahe-Zusammenbrüchen später hat der Tacho oftmals nur 300 Meter Fortschritt angezeigt. Motivation geht anders.
2) Schmerz kann man wegatmen
Auch wenn alle Meditationslehrer dieser Welt es behaupten: Nein, Schmerz kann man nicht wegatmen. Ich war 5 Tage lang kurz vor dem Hyperventiliren, so sehr habe ich versucht, den Schmerz wegzuatmen, geholfen hat es nichts. Auch, mich in das hässlichste Kleidungsstück auf dieser Erde – eine Radlerhose mit einer windelhaften Popoverstärkung – zu pressen, hat nichts gebracht. Der Schmerz war noch immer da, er hielt perfekt, wie Dreiwettertaft in der Wüstensonne. Der erste Tag war einfach nur Aua. Am zweiten Tag wieder aufzusteigen, hat mich an meine Schulzeit und die Teilnahme an den Bundesjugendspielen erinnert: Man will nicht mitmachen und versucht, sich krank zu stellen. Am Ende keucht man dann doch durch den 800-Meter-Lauf, übertritt beim Weitsprung, wird Vorletzter beim Sprint. Danach trägt man geknickt seine Teilnehmer-Urkunde nach Hause, damit Mama sie stolz in dem „So toll ist mein Kind“-Ordner abheften kann. Am dritten Tag dachte ich, ich werde nie wieder einen Fuß vor den anderen setzen können, sondern mein Leben lang laufen müssen, als würde ein Baumstamm zwischen meinen Knieen klemmen. Am vierten Tag nehme ich nach 40 Kilometern den Bus. Fünfter Tag: Ohne Worte.
3) Die Wüste ist trocken
Wenn man nicht aufpasst, kann man in der Wüste ertrinken! Ja doch, wirklich. Immer wieder fahre ich an Schildern vorbei, die vor Überflutung warnen. Und tatsächlich, plötzlich stehe ich vor einer riesigen Pfütze in einer Senke der Fahrbahn. Während ich noch ungläubig auf mein Spiegelbild im Wasser schaue und zum wiederholten Male feststelle, wie gruselig diese Radlerhose an mir klebt, rauscht ein LKW durch den kleinen See. Ich sehe noch, wie der Fahrer mich angrinst, als sein Wagen mich von oben bis unten mit Pfützwasser besuddelt.
4) Die Wüste ist karg
Im Norden der Negev haben die Israelis „die Wüste zum Blühen“ gebracht, ganz so, wie Staatsgründer Ben Gurion es gewollt hat. Statt Staub, Sand und Steine gibt es hier grüne Felder wie in Brandenburg. Nur die Kühe fehlen. Fruchtbar wird das alles durch die ausgeklügelte Bewässerung, die in einer Region mit akutem Wassermangel nötig ist. Beim „Tröpfchensystem“ liegen Schläuche mit kleinen Löchern um die Pflanzen herum und versorgen diese mit Wasser. Ganz schön schlau, die Israelis.
5) In der Wüste herrscht Frieden
Ruhe, Stille, Frieden? Von wegen. Die Negev ist ein Sandkasten, in dem die israelische Armee täglich den Ernstfall übt. Statt Autos kommen einem hier Panzer entgegen, statt Mofas H1-Hummer und statt Vögeln fliegen raketenbehangene Kampfjets und Apache-Hubschrauber über einen Hinweg. Zum Glück trage ich einen Sturzhelm. Entlang der Fahrbahn stehen Steinsockel, auf denen vor der Schusszone gewarnt wird, die 1,5 Meter neben der Straße beginnt. Nicht so beruhigend, aber schließlich fahre ich schnell, bevor ich gesichtet werde, bin ich schon wieder weg. Zumindest rede ich mir das ein.