Ein Mädchen namens Malak
Eva Lindner Blog Journalistin

Als Malak 2002 geboren wurde, war ich 18 Jahre alt. Ich habe gerade meinen Führerschein gemacht und büffelte fürs Abitur. In den folgenden Jahren, während ich studierte, wuchs Malak in Damaskus, Syrien, auf. Sie lernte Klavier spielen, durfte auf Pferden reiten und wurde die große Schwester für drei jüngere Geschwister. Als 2011 in Syrien der Bürgerkrieg ausbrach und Malaks Leben, wie sie es kannte, auf einen Schlag zu Ende war, wurde ich gerade zur Redakteurin ausgebildet. Malak war 11 Jahre alt, als in einer Stadt nahe Damaskus 1400 Menschen durch Giftgas starben. Heute, im Jahr 2014, haben sich Malaks und meine Wege gekreuzt. Sie ist mit ihrer Familie dem Krieg entflohen und lebt seit sieben Monaten in Berlin. Seit ein paar Wochen bin ich ihre Mentorin und von jetzt an für sie da.

Malak und ich werden uns im nächsten Schuljahr einmal in der Woche treffen, um ein paar Stunden miteinander zu verbringen. Ich zeige ihr Berlin, übe mit ihr Deutsch, wir backen Plätzchen, basteln Halsketten oder gehen Schlittenfahren. Ich stelle ihr ihre neue Heimat vor, so gut ich es eben kann. Vielleicht bringt sie mir ein bisschen Arabisch bei, zeigt mir, wie man Baklava backt und erzählt mir von Syrien. Von diesem Land, das ich nie mehr so kennenlernen werde, wie Malak es gekannt hat, als Land voller Schönheit und kultureller Schätze.

Ich will für Malak da sein, weil ich das Glück hatte, wohlbehütet in einem reichen Land weit weg von Krieg, Terror und Tod aufzuwachsen. Weil ich dieses Glück gerne teilen möchte mit einem Kind, das weniger davon hatte. Durch Zufall ist Malak auf der anderen Seite der Welt geboren, in einer Region, die derzeit erschüttert wird, wie keine weitere. Ich will für sie da sein, weil ich nicht einfach nur zusehen will, wie um mich herum Menschen, die aus dem Krieg kommen, in leerstehende Baracken, stillgelegte Krankenhäuser oder Container ziehen. Ich will etwas tun.

Was ich Malak geben kann, ist nicht viel und vielleicht doch etwas Wichtiges: Aufmerksamkeit. Malak lebt mit ihren Eltern und ihren drei Geschwistern in einem Flüchtlingsheim in Reinickendorf. Sie teilen sich zu fünft ein Zimmer. Ihr Mutter ist wieder schwanger. In dem Heim leben viele Familien und noch mehr Kinder, es ist voller Menschen und ohne Ruhe. Malaks Eltern haben viele Sorgen. Aufmerksamkeit von einem Erwachsenen zu bekommen, der sich wenigstens einmal in der Woche nur mit ihr allein beschäftigt, ist etwas, das Malak fehlt.

Ich weiß weder was Malak in Syrien erlebt hat, was sie gesehen, noch was sie erduldet hat. Ich weiß nicht, wie sie und ihre Familie nach Deutschland gekommen sind und auch nicht, ob die Familie in Syrien arm oder reich war. Ihre Mutter und ich können uns lediglich anlächeln, sie kann die Sprachen nicht, die ich spreche und ich verstehe ihre nicht. In einer Schulung über traumatisierte Kinder habe ich gelernt, dass ich mich mit meiner Neugier und meinen Fragen besser zurückhalte. Malak wird es mir schon erzählen, wenn sie es mir erzählen will.

Ich weiß nicht viel über Malak, aber ich sehe eine aufgeweckte, putzmuntere, fröhliche 12-Jährige vor mir. Und das ist schon wesentlich mehr, als ich erwartet habe. Malak freut sich darauf, dass ich sie von nun an einmal in der Woche abhole. Wenn wir zusammen sind, bestimmt Malak, was wir machen, sie darf sich jede Woche etwas Neues wünschen. Und ich freue mich darauf, Zeit mit Malak zu verbringen. Das ist momentan das einzige, das uns verbindet. Aber mehr braucht es auch nicht.

Der Verein, der Malak und mich zusammengeführt hat, heißt „kein Abseits! e.V.“ und sucht immer wieder nach Mentoren: www.kein-abseits.de