Wer in einer Wohnung in Berlin lebt, die nicht gerade in einem Keller, unter einer Schlagzeugschule oder über einer Werkstatt für Fräs-Bohrmaschinen liegt: Bleibt, wo ihr seid, und kommt nicht auf die Idee, umzuziehen. Dass der Berliner Mietmarkt kein Wellnessbereich ist, ist bekannt. Aber dass es so schlimm kommt, wenn man eine neue Wohnung sucht, hätte ich nicht gedacht.
Nach fünf Wochen verzweifelter Suche, konnte ich die Makler-Sprache auswendig. Ein Makler ist ein Schönredner, ein Euphemismus-Perfektbeherrscher, einer, zu dem immer alle nett sind. Das kann ja garnicht gut sein für die Herzensbildung, am Ende glaubt man tatsächlich noch, dass alle einen mögen. Ich war kurz davor, ein Wörterbuch zu entwickeln:
a) du wohnst künftig an einer sechsspurigen Straße, auf der jeden Morgen um sechs Uhr Laster ein Wettrennen gegen BVG-Busse fahren. Alle Zimmer gehen selbstverständlich „nach vorne raus“. Oder
b) du wohnst künftig im Erdgeschoss in einer engen Straße und führst ein vampirartiges Leben ohne Tageslicht. Jeden Monat bricht jemand bei dir ein und nimmt deinen Computer mit. Aber hey, dafür laufen nachts Hippster vor deinem Schlafzimmerfenster vorbei und lassen dich hören, was es heißt, in Berlin zu leben.
„Panoramablick“ bedeutet Plattenbau, im Gebäude weit oben, sozial ganz unten. „Für Hobby-Handwerker“ bedeutet, dass wahrscheinlich schwarzer PVC verlegt wurde, die Dusche schimmelt und du das ganze Ding gleich neu aufbauen kannst.
Ein paar Tage später erwische mich dabei, wie ich in einer Wohnung für „Hobby-Handwerker, mitten im szenigen Kreuzberg, direkt am Kanal“ stehe und den Makler bezirze. Wenn er etwas sagt, nicke ich und lächle reizend: Maklerprovision (er hat mir ja schließlich die Tür aufgesperrt), Mindestmietzeit von drei Jahren, Eigen-Sanierung. Kein Problem, höre ich mich sagen, ich bin handwerklich begabt, das macht mir großen Spaß. In Wirklichkeit weiß ich nicht mal wie ein Vierkantschlüssel aussieht, will es auch nicht wissen und will mit einem solchen auch nichts zu tun haben. Ich will einfach nur Wände, die gerade stehen, einen Boden, an dem ich mir nicht die Füße aufreiße und ein Bad, in dem ich mich bestenfalls duschen und mir die Zähne putzen kann. Ist das so schwer?
Anscheinend. Die Wohnung ist eine Trümmerhalde zwischen zwei Innenhöfen, eingemauert wie ein Hochsicherheitstrakt, nie direkter Lichteinfall. Ich stelle mir vor, wie ich mich hier langsam in Moos verwandle, das zum Leben nur ein paar feuchte Wände und so wenig Sonne wie möglich braucht. Der Kanal ist natürlich nicht zu sehen, die Küchentür hängt zerschmettert in den Angeln, der Dielenboden ist mit blutroter Farbe beschmiert. „Eine Staffelmiete gibt es hier aber nicht, oder?“, frage ich mit Dauerlächeln. Aber nein, antwortet der freundliche Makler, nur eine Art Inflationsausgleich. Sie wissen schon, man muss sich ja an die aktuellen Preise anpassen. Ich nicke nicht mehr, mein Lächeln fällt auf den spröden Holzboden. „Also eine Staffelmiete, die Sie aber anders nennen?“, ich spüre, wie mein Puls in meiner Schläfe pocht und ich vor Wut rot anlaufe. Ja, wenn Sie es denn so wollen, der nicht mehr freundliche Makler schaut mich mit leerem Blick an, dreht sich um und geht. „Inflationsausgleich, my ass!“, will ich ihm noch hinterherrufen, kann mich aber gerade noch zurückhalten. Ich höre nie wieder etwas von ihm.
Nach zwei Monaten habe ich dann tatsächlich doch noch eine Wohnung gefunden. Sie hat gerade Wände, einen glatten Boden, ein Bad zum Duschen und Zähne putzen und der Wedding ist ganz weit weg.