Je mehr Regeln es gibt, desto wahrscheinlicher ist es, eine von ihnen zu brechen. Im Iran ist definitv alles, was Spaß macht, und darüber hinaus noch so einiges mehr, verboten. Nichtsahnend galt ich schon als Schwerverbrecherin, als ich noch im Luftraum über Teheran segelte.
Das Mullah-Regime macht es seinen Leuten wirklich nicht einfach: Die Frauen müssen nicht nur ihr Haar verhüllen, sondern auch sonst alles, was sie auf den ersten Blick als weiblich erkennen lässt, großzügig in sackähnliche Kleidungsstücke einpacken. Es ist in der Öffentlichkeit nicht erlaubt, zu tanzen, zu singen, sich zu umarmen, es gibt keine Möglichkeit, im Freien in Cafés zusammen zu sitzen und als unverheiratetes Paar darf man kein Hotelzimmer mieten. Den Zugang zu ausländischen Medien und einigen sozialen Netzwerken haben die mächtigen, alten Männer untersagt, die einheimischen Medien verkünden den einheitlichen Regierungsbrei. Das Internet läuft meistens langsam und in sozial angespannten Zeiten wie Wahlen noch langsamer. Alkohol ist natürlich streng verboten, es gibt keine Bars oder Clubs, ausländische Kreditkarten funktionieren nicht, weshalb Touristen gezwungen sind, als wandelnde Tresore mit großen Mengen Bargeld durch die Straßen zu laufen. Lautes Lachen in der Öffentlichkeit ist unerwünscht und Journalisten sind es auch. Und natürlich, ganz selbstverständlich, ist es strengstens verboten, Literatur von Salman Rushdie zu lesen, auf den der Ober-Mullah vor vielen Jahren die Fatwa, das Todesurteil, ausgerufen hat. Dreimal dürft ihr jetzt raten, was die am liebsten laut lachende Journalistin im Gepäck hatte, als sie nach Teheran flog?
Es war wirklich ein Versehen! Wir haben das Buch in Indien gekauft und uns damals nichts dabei gedacht. Im Landeanflug auf Teheran fällt uns plötzlich ein: „Oh Mist, wir haben noch den Rushdie im Gepäck!“ Panik bricht aus. Was tun? In meiner Verzweiflung schiebe ich hektisch meinem Freund das verbotene Buch unter den Pulli. Mit unschuldigem Blick und wackeligen Knien schleicht er auf die Flugzeugtoilette, wo er todesmutig die armen „Mitternachtskinder“ in den viel zu kleinen Abfalleimer presst. Wir verlassen das Flugzeug zitternd aber unentdeckt. In meiner Vorstellung flattern seitdem 800 Seiten unerlaubter Poesie über den iranischen Wolken.
Es ist wie bei kleinen Kindern: Je mehr Regeln die Eltern aufstellen, desto größer ist der Reiz für die Kleinen, sie zu brechen. Und irgendwann ist es ja auch egal, die Wahrscheinlichkeit ist so groß, dass man etwas falsch macht, dass eine gewisse Wurschtigkeit einsetzt. Meine Hosen sitzen zu eng, das Kopftuch rutscht mir ständig in den Nacken, wenn ich lache, halten die Iraner ihren Zeigefinger auf die Lippen. Die Angst vor den geheimen Wächtern des Regimes sitzt tief. Wir umgehen die Internetsperren wie alle anderen im Land über VPN-Schlüssel, so wie es absurderweise auch der Ajatollah macht, um seine Weisheit in die westliche Welt zu twittern. Wir couchsurfen (natürlich auch verboten!) zwar nicht auf Sofas, dafür aber auf weichen Perserteppichen, tanzen und singen mit den Iranern hinter ihren verschlossenen Türen und schon nach kurzer Zeit schiebt uns der Besitzer eines Glühlampen-Ladens grinsend eine Teetasse mit selbstgemachtem Rotwein aus Shiraz über die Tresen.
Wer nicht bereit ist, sich ein Kopftuch aufzusetzen und sich für kurze Zeit ein bisschen einzuschränken, der braucht gar nicht erst herzukommen. Dem werden allerdings auch die funkelnsten Moscheen und kulturellen Reichtümer entgehen und vor allem: Die nettesten, gastfreundlichsten Menschen der Welt. Und schließlich gehe ich nicht auf Reisen, um politische Statements zu machen oder diktatorische Staatsmänner zu bekehren, sondern um Menschen aus fremden Kulturen zu begegnen, von ihnen zu lernen, und Erfahrungen zu machen, die mein Leben bereichern. Es vergeht kaum ein Tag, an dem wir nicht zu Tee oder zum Essen eingeladen werden oder spontane Ausflüge mit den Einheimischen machen. Nach kurzer Zeit halten wir es wie die Iranerin, mit der wir eines schönen Tages zum Picknick fahren. Während wir mit ihren Freundinnen lautstark im Auto verbotene Musik hören und ihre Kopftücher im Wind flattern, ruft sie mir zu: „It’s not allowed! But we allow us“. Es ist nicht erlaubt, aber wir erlauben es uns. Das kommt davon, wenn man versucht, Menschen ihre Selbstbestimmtheit zu nehmen. Sie werden immer Wege finden, ihre Freiheit zu leben.
Tipp: Zur Vorbereitung auf meine Reise als Frau durch den Iran habe ich gerne diesen Blog gelesen: A world kaleidoscope