Über das Reisen

Warum verreist ihr für 6 Monate? Könnt ihr euch das überhaupt leisten? Habt ihr keine Angst in Indien und im Iran? Wer sich aufmacht und seinen Lebensmittelpunkt für eine Weile ins Jeden-Tag-woanders verlegt, wird mit vielen Fragen, Verwunderung und sehnsüchtigen Blicken konfrontiert. Fünf Antworten.

Warum verreist ihr?

Für mich die fragwürdigste Frage. Es ist mir tatsächlich unverständlich, wie nicht jeder, der es irgendwie zeitlich und finanziell möglich machen kann, sofort losfahren will. Mal kommt auch: Ihr seid ja jung geblieben, so verrückt ungebunden, das geht doch gar nicht mehr mit Anfang 30. Da muss man doch endlich das Leben auf die ernsthafte Schiene lenken: Karriere, Kinder, Kredit aufnehmen für eine eigene Wohnung. Es ist wie alles eine Frage der Prioritäten: Man macht möglich, was einem wichtig ist. Sei es die Karriere, das Kind oder eben die Reise. Dafür geht man Risiken ein, ist mutig, macht Kompromisse. An jedem einzelnen Tag in den sechs Monaten habe ich mehr über die Länder, Kulturen, die Menschen und mich selbst gelernt als an jedem Tag am Schreibtisch zuhause.

Ist das berufliche Risiko nicht zu hoch, ein halbes Jahr weg zu fahren?

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Reicht nicht auch Balkonien?

Wieder eine Frage der Prioritäten. Wer dringend seine Karriere anschieben will, bleibt wahrscheinlich lieber zuhause. Ist sicherer. Ist aber vielleicht auch nur eine Illusion von Sicherheit. Jeder ist schließlich ersetzbar. Wenn man selbst den Job nicht macht, dann macht ihn halt jemand anderes. Das kann einem Angst machen, aber auch befreien. Von einem falschen Pflichtgefühl. Mein Freund hat seinen Job gekündigt, ich habe meinen stillgelegt. Klar ist das ein Risiko für uns beide, aber wir trauen es uns zu, uns nach 6 Monaten wieder zurechtzufinden. Wer in Indien klarkommt, schafft es auch auf dem deutschen Arbeitsmarkt.

Habt ihr keine Angst?

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In Indien ist alles anders als man es kennt

Doch, ich im Speziellen, immer. Krankheiten, Überfälle, Flugzeugabstürze, Terroranschläge, Entführungen. Gedanklich hab ich vorher alles wochenlang durchgespielt. Doch kaum bin ich auf Sri Lanka, unserer ersten Station, angekommen, war mein ganzes Katastrophenszenario verblasst wie ein Horrorfilm am nächsten Morgen. Wer lange zuhause sitzt, wird bequem und mutlos. Es ist ja so schön, wenn man jeden Tag weiß, wo man hingehen muss, wenn man sich nur mit Menschen umgibt, die man schon kennt. Dann glaubt man auch, dass man seinen Horizont erweitert, wenn man eine Ausstellung besucht. Oder Fotos vom Blick aus seinem Bürofenster in die Ferne auf Facebook postet. Reisen wirft einen auf den Nullpunkt zurück, man ist neu, fremd, kennt niemanden und sich nicht aus. Das kostet Energie und Risikobereitschaft, schaden tut es eher nicht.

Habt ihr eine Mission?

Ich wollte weder mich selbst finden in Indien, noch auf den höchsten Berg im Iran steigen, noch so viele Länder wie möglich bereisen. Ich muss mich nicht herausfordern, das Reisen allein kostet schon genug Kraft. Wichtig war mir, ökologisch zu reisen. In 6 Monaten sind wir nur viermal geflogen. Wir haben Indien komplett auf dem Landweg in Zügen bereist. Eine wundervolle Erfahrung, die am Ende auch Zeit spart, denn ich glaube, dass bei jeder Flugreise die Seele ein paar Tage braucht, hinterherzukommen. (Man kann es auch Jetlag oder Kulturschock nennen.) Wir haben viele Touristen getroffen, die für Indien oder den Iran nur ein paar Wochen Zeit hatten und deshalb mehr Inlandsflüge gemacht haben, als wir insgesamt in einem halben Jahr. Zeit haben, ist das Schönste beim Reisen. Das gibt einem die Möglichkeit, Leute kennenzulernen und nicht sofort weiterzumüssen, um noch dringend den 137. Tempel anzuschauen. Wenn man sagen kann, klar, lass uns übermorgen wiedersehen, wir sind noch da, ist das wunderbar. Unser Ziel war: Wenig Länder, die dafür richtig und mit viel Zeit.

Könnt ihr euch das überhaupt leisten?

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Prioritäten setzen

Wir haben weder im Lotto gewonnen, noch geerbt. Wir haben ein bisschen gespart, weil mir Reisen schon immer wichtiger als Handtaschen kaufen, ein Auto fahren und Cocktails trinken war. Die Länder wählten wir so, dass wir sie uns leisten konnten. Klar, wer nach Australien, Amerika oder in die Arktis will, braucht mehr Geld. Sri Lanka, Indien, Iran und der Balkan kosteten uns pro Monat zwischen 800 und 1000 Euro pro Person, inklusive Flüge, Versicherung, Impfungen und Visum. Der Trick: Zuhause keine Kosten haben. Wohnung vermieten, Versicherungen und Abos kaltlegen und den Briefkastenschlüssel der besten Freundin geben. 6000 Euro geben manche schnell mal für neue Autos, Handys, schicke Klamotten aus. Andere haben sie gar nicht, weil es einfach auch viel Geld ist. Mir schenkten sie die wohl unvergesslichsten sechs Monate meines Lebens. Erfahrungen statt Eigentum, für mich immer die bessere Investition.