Wie ich zum Fluchthelfer wurde
Eva Lindner Blog Flüchtlinge

In den vergangenen Tagen habe ich zur Flüchtlingskrise in Slowenien recherchiert. Folgende fünf Dinge sind mir dabei besonders aufgefallen. Und eh ich mich versehen konnte, saßen ein Iraker und ein Syrer in meinem Auto …

  1. Wer sich vorgenommen hat, zu helfen, der hilft – ob sinnvoll oder nicht

Ein bis zweimal täglich fährt derzeit ein Zug durch Maribor, in der slowenischen Steiermark, der in den hinteren Wagons Flüchtlinge nach Österreich bringt. Jedes Mal stehen rund 30 Helfer auf dem Gleis Richtung Wien, beladen mit Wasser, Obst, Chips und Kinderspielzeug. Sie haben nur wenige Minuten, um ihre Spenden zu verteilen. Wenn der Zug einfährt, bricht Hektik aus. Die Helfer reichen die Lebensmittel durch Fenster und Türen, viele Flüchtlinge lehnen ab, sie wurden schon an den Stationen davor versorgt. „Ihr seid gute Menschen“, ruft ein junger Mann aus dem Zug. Das ist Bestätigung und Ansporn zugleich. Weil eine Kiste mit Kinderspielzeug nicht durchs Fenster passen will, schüttet eine Helferin in der Eile einfach den ganzen Inhalt ins Zugabteil. Darin stehen junge Männer und schauen ratlos auf die Kuscheltiere und Legosteine. Wer sich vorgenommen hat, zu helfen, der hilft und will nicht mit dem Gefühl nach Hause gehen, unnütz gewesen zu sein. Noch schnell Handyvideos von beiden Seiten. Dann fährt der Zug ab.

2.  Guter Flüchtling – Böser Flüchtling. Guter Helfer – Böser Helfer

„Wir wollen doch auch helfen, aber keiner will unsere Hilfe“, sagt eine slowenische Lehrerin zu mir. Von über 3000 Flüchtlingen, die bisher Slowenien durchquert haben, haben nur 30 einen Asylantrag gestellt. Alle reden über eine junge verschleierte Frau, die in einem der Züge nach Österreich von einem Fernsehteam interviewt wurde. Auf die Frage, warum sie nicht in Slowenien Asyl beantragen will, sagt sie: „Slowenien? Nein, hier will ich nicht bleiben. Slowenien ist ein armes Land.“ Wer glaubt, Flüchtlinge wollen nur dem Krieg entfliehen, der irrt. Sie haben genaue Vorstellungen von ihrem zukünftigen Leben und Europa. Nicht alle davon stimmen. Populisten fühlen sich bestärkt, Helfer degradiert. Gut genug, um Wasser in Züge zu reichen, aber nicht gut genug als Mitbewohner.

3.  Das lustige Länderraten

Ich stehe in der Notunterkunft und rede mit zwei jungen Syrern. Beide haben studiert, sprechen fließend Englisch. Die beiden sind nicht sicher, wo sie hinwollen. Auf Goolge Maps zeigen sie mir, wo ihre Verwandten leben: Tschechien, Deutschland, Schweden. „Das ist doch gut, viele Anlaufpunkte“, sage ich. „Das ist schrecklich. Das heißt, unser Land wird zerstört und keiner ist mehr dort“, sagt einer der beiden. „Wo ist das?“, er zeigt auf Klagenfurt. „In Österreich.“ „Wo?“ „Österreich.“ „Ist das ein Land?“ „Ähm, ja schon.“ Was ich von Kanada halten würde. „Tja, ich weiß nicht genau.“ Und Deutschland? „Die Grenzen sind zu.“ Ich bin immer noch fassungslos, wenn ich das sage. Europa schließt seine Grenzen, das wars mit dem Traum der Freiheit und des Miteinanders. Der Syrer ist nicht fassungslos. Ihn schreckt das nicht ab. „Wir finden einen Weg rein.“ Ich habe noch nie jemanden so überzeugt und zielstrebig erlebt.

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Am Bahnsteig: Braucht jemand noch Kinderspielzeug?

4.   Der Blick auf die Frau

Ich gehe durch die Notunterkunft und schaue mich um. Unten sind die Männer untergebracht, oben die Familien. Unten ist es unangenehm. Ich laufe durch und werde angestarrt, keiner lächelt. Ich trage Jeans und T-Shirt, fühle mich aber als würde ich im Bikini durch Mekka laufen. Andererseits: Auch die Männer müssen sich vorkommen, wie Zootiere, schließlich gucke ich mir die an, die alles verloren haben, um danach wieder in mein Wohlstandsleben zurückzukehren. Über 70 Prozent der Flüchtlinge sind junge Männer, die meisten aus muslimischen Ländern. Für uns Frauen wird sich etwas ändern, der Blick auf uns wird ein anderer sein. Wenn ich durch muslimische Länder reise, fühle ich mich am wohlsten, wenn ich lange, weite Sachen trage, um Respekt zu zeigen, aber vor allem, um mich genau vor diesem Blicken zu schützen. In Deutschland liebe ich die Freiheit, tragen zu können, wonach mir ist. Die Medien zeigen vor allem Flüchtlingsbilder, auf denen wir Kinder sehen, weinend oder lachend, je nachdem, welche Stimmung der Beitrag transportieren soll. Die vielen jungen Männer mit ihren durchdringenden Blicken sehen wir nicht so oft. Angst habe ich nicht. Aber etwas verändern wird sich schon.

5.  „Sich nicht gemein machen mit einer Sache“ und all dieser Quatsch

Als wir aus der Notunterkunft abfahren, sehen wir die Flüchtlinge auf der Straße, zu Fuß. Wir wissen, sie laufen seit Wochen, sie sind erschöpft. „Sollen wir sie mitnehmen?“ Kurze Pause. „Ja.“ Ins Auto springen zwei Männer. Sie wissen nicht genau, wo sie hinwollen. Ein Stück weiter eben, Richtung Norden. Wir wissen, wo sie hinwollen und bieten an, sie bis zur österreichischen Grenze zu fahren. Für uns sind das 20 Minuten im Auto, für sie wäre es ein halber Tag zu Fuß. 2000 bis 4000 Euro Strafe oder gleich Gefängnis stehen darauf, Flüchtlinge zu transportieren. Nur: Solangen wir keine Grenze übertreten, sondern innerhalb des Landes bleiben und kein Geld nehmen, könnten wir auch einfach Anhalter auf dem Rücksitz haben. Die Zeit ist eh zu kurz, um nachzudenken. Wer seid ihr? Youssuf kommt aus dem Irak und will zu seiner Familie in die Schweiz. Mahmoud ist aus Syrien und will nach Schweden. Die beiden haben sich in Griechenland zusammengetan, die Flucht zu zweit ist leichter, auch weil Mahmoud kein Wort Englisch spricht. Dann sind wir auch schon an der Grenze. Ein Stück vorher halten wir an, um nicht von der Polizei  gesehen zu werden. Die beiden bedanken sich, schnappen sich ihre Rucksäcke und sind weg. „Sich nicht gemein machen mit einer Sache“ lautet ein Grundsatz im Journalismus. Stimmt. Solange nicht etwas gefordert ist, das noch wichtiger ist als das: Mitmenschlichkeit.